11.11.1989 Yvonne Walther

 

Tagebucheintrag von Yvonne Walther (15)

 

Samstag 11.11.1989

 

 

 

Heute war ein echt verrückter Tag. Es ist der zweite Tag nach der überraschenden Rede von Günter Schabowski, nach dem die Grenze zwischen Ost und West offen ist. Frühs bin ich so wie immer mit dem Bus nach Neudietendorf in meine Schule gefahren. Im Schulhaus war sehr wenig los. Auf den Gängen waren kaum Schüler oder Lehrer zu sehen. Ich habe mir dabei noch nicht viel gedacht, warum das wohl so ist. In der ersten Stunde hatten wir Physik mit Frau Kritzmöller. Ich saß bereits mit 8 weiteren Schülern im Physikraum. Frau Kritzmöller war auch schon da und saß ganz vorne an ihrem Lehrertisch mit dem Blick zu uns. Sie schaute, als hätte sie ein riesiges Fragezeichen im Kopf. Ich wandte meinen Blick zu Uhr und war ebenfalls überrascht. Es war 7.30 Uhr, also Unterrichtsbeginn. Doch außer meinen 8 Mitschülern und ich war keiner weiter da. Normalerweise sind wir 20 Schüler, doch heute waren es nur 9. Nachdem Frau Kritzmöller die Anwesenheitsliste durchging, sagte sie zu uns: „Tja, dann werden wohl alle in den Westen gefahren sein, denn krank gemeldet ist niemand“. So war es am Ende auch. Die meisten Eltern haben ihre Kinder geschnappt und sind schnell mal in den Westen gefahren, obwohl heute eigentlich Unterricht ist. Der weitere Tag war für uns sehr entspannt. In Deutsch hatten wir gestern einen Aufsatz über die Anekdote von Rudolf Nirchow geschrieben. Diesen haben wir heute wiederbekommen. Ich habe glücklicherweise eine 1 bekommen.

 

So war heute mein Schultag und wie schon am Anfang gesagt, fand ich ihn wirklich verrückt mit gerade mal 9 Schülern Unterricht zu haben, weil der Rest mit ihren Eltern in den Westen gefahren ist.