Februar 2020 Christian Krauße

 

Vorname:                         Christian

 

Nachname:                      Krauße

 

Geboren:                         14.5.1943

 

Geburtsort:                      Zwickau

 

Späterer Wohnort:           Rechlin (Müritz)

 

Ehefrau:                           Gisela Krauße

 

Kinder:                             Michael und Thomas Krauße

 

Frühere Berufe:               Kraftfahrzeugschlosser, Berufsschullehrer

 

 

 

Februar 2020

 

Meine ältere Enkelin ist mittlerweile sehr geschichtsbegeistert. Sie interessiert sich aktuell viel mehr für meine alten Erzählungen und hat mir für die Schule Fragen gestellt zum Thema DDR. Natürlich habe und hätte ich ihr noch vieeel mehr erzählt.

 

Sie hat gesagt, sie fände es wichtig, dass unsere Geschichten erhalten bleiben soll und der Meinung bin ich natürlich auch. Darum habe ich beschlossen, ein paar Erinnerungen zur Wende aufzuschreiben. Tatsächlich habe ich dafür diese moderne Art genutzt. Die ältere Generation weiß ja, wie es damals war. Aber die Jugend ist es, die ich mit meinen Erzählungen ansprechen möchte und ich denke, diese erreiche ich am besten durch einen Blog wie diesen hier.

 

 

 

Wie viele andere zu meiner Zeit habe ich durch den Rundfunk und das Fernsehen, genau genommen durch das Westfernsehen, von der Wiedervereinigung erfahren. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich früher als Lehrer an einer Berufsschule tätig und dass es mir eigentlich verboten war, Zugriff auf einen Westsender zu haben. Das hat mir aber recht wenig ausgemacht – ich habe mir einfach eine eigene Antenne gebastelt. Als gelernter Kraftfahrzeugschlosser war ich schon immer ein leidenschaftlicher Schrauber und Bastler.

 

Ich und meine Frau – die Gisela – und unsere beiden Söhne Michael und Thomas wohnten zu dem Zeitpunkt des Mauerfalls in Rechlin, einem recht gemütlichen Ort an der Müritz. Dort wohnen Gisela und ich noch immer – in dem Haus, in welches wir nach der Wende gezogen sind, nachdem wir es gründlich renovieren ließen…aber dazu komme ich gleich.

 

Zuerst möchte ich von unserem ersten gemeinsamen Tag in Westberlin berichten. Denn dort waren wir wegen der 100 Mark Begrüßungsgeld, die wir erhielten, und kauften uns Schokolade, Kaffee und weitere Dinge, die für uns in der DDR nicht so selbstverständlich gewesen waren. In der DDR wurde das Meiste schließlich für das Ausland hergestellt.

 

Wir fuhren erst Ende November auf die andere Seite, da wir es ganz einfach nicht eilig hatten, in den Westen zu gelangen.

 

Im Sommer des selben Jahres, also kurz vor dem Mauerfall, stellte ich einen Reiseantrag, um beim 50. Geburtstag meiner Cousine, die in Niedersachsen wohnte, dabei sein zu können. Was das für ein Aufriss war!

 

Dutzende Leute, beispielsweise mein Chef, aber auch Personen, die ich nicht einmal kannte, mussten bestätigen, dass ich zurückkehren würde. Dann wurde das Ganze noch einmal genau von der STASI nachgeprüft, bis es schließlich im Oktober genehmigt wurde…aber bloß von Donnerstag bis Samstag. Der Geburtstag war blöderweise am Sonntag…

 

Ein Glück, dass meine Reise erst im Dezember stattfinden sollte. Dank des Mauerfalls konnte ich nun doch mitfeiern und sogar länger bleiben.

 

 

 

Neben meiner Cousine in der BRD hatte ich auch einen Freund im Westen, welcher der Sohn einer Schulfreundin meiner Mutter war. Ihm habe ich ganz früher oft Schulbücher von mir geschickt, besonders Chemiebücher, da er die aus dem Westen scheiße fand. Ja, so hat er es immer gesagt.

 

Heute trägt der gute Johannes einen Doktortitel. Und worin? Natürlich in Chemie!

 

Ja, die Bildung in der DDR war meiner Meinung nach VIEL besser – und ich kann das als ehemaliger Lehrer mit gutem Gewissen behaupten. Nicht nur das Bildungssystem war effektiver, auch die Freizeitangebote für Jugendliche waren damals um einiges vielfältiger.

 

 

 

Als die Mauer nun gefallen war, konnten wir feststellen, dass der im Fernsehen dargestellte Kapitalismus, den wir alle nie so wirklich geglaubt hatten, Realität war. Ich hatte immer die Hetzserie von Karl-Eduard von Schnitzler, der „Schwarze Kanal“, geschaut, in der die Reden vom Westen als Lügen dargestellt wurden. Doch wie viel Wahrheit tatsächlich hinter Schnitzlers Worten steckten, realisierten wir erst, als die Grenzen offen waren.

 

 

 

Ich wollte nie in den Westen, da ich daran glaubte, dass sich die Löhne anpassen würden und Gisela und ich unser Umfeld nicht verlassen wollten. Wir hatten uns doch in unserem kleinen Rechlin einen guten Bekanntenkreis aufgebaut. Außerdem gab es für mich mit der Wende neue Ziele, denn es waren neue Dinge möglich. Eines meiner Ziele war die Anschaffung eines eigenen Hauses.

 

Denn durch die DDR gab es viel mehr Baumaterialien.

 

In Rechlin war ja zur Zeit der DDR ein Russensektor. Unter anderem gab es dort ein Kaufhaus, in dem wir oft Dinge des täglichen Lebens erwarben. Dort, wo heute unser Haus ist, war vor dem Mauerfall auch das Gebiet der Russen und unser Haus war erstmal eine richtige Ruine. Es gab weder Heizung noch Fußboden und wir mussten uns alles nach und nach aufbauen.

 

Noch heute stehen übrigens alte Gebäude der Russen in Rechlin. Zum Beispiel das alte Krankenhaus. Die zwei Gebäude davon stehen noch, sind aber zum größten Teil sehr baufällig.

 

 

 

Als die Wiedervereinigung stattfand, forderte ich, wie viele andere Menschen auch, meine STASI-Akte an. Darin befanden sich fünf Berichte. Natürlich etwas zu dem Antrag wegen der Geburtstagsreise, von der ich bereits erzählte. Außerdem stand dort etwas wegen einem Mal, als ich mit einem anderen Auto gefahren bin. Und es befand sich in der Akte etwas über meinen Protest gegen die russischen Panzer. Die sind nämlich immer über die Schleusenbrücke gefahren und haben die Straße kaputtgemacht.

 

Es ist schon Wahnsinn, was die STASI alles mitbekommen hat.

 

 

 

Heute leben wir viel freier. Davon mal abgesehen, dass beispielsweise das Schulsystem früher besser war und es eine viel geringere Differenz zwischen arm und reich gab, birgt die heutige Zeit natürlich auch genügend Vorteile.

 

Wir haben einen viel besseren Lebensstandard und können uns frei eine Meinung bilden. So konnte ich zum Beispiel auch meine Kritikpunkte an der heutigen Politik finden, die nur nach der Pfeife der Großindustrie tanzt…

 

Und ich kann diese Kritikpunkte offen mit jedem diskutieren.

 

 

 

Ich könnte natürlich noch vieeel mehr davon berichten, wie ich die damalige Wende empfunden habe. Doch die Jugend von heute hat ja viel zu wenig Zeit. Ich hoffe, es gibt trotzdem den einen oder anderen, der Interesse an meinem Bericht findet, den ich bewusst möglichst kurz gehalten habe.

 

Die Geschichte ist so eine Sache, die uns alle etwas angeht. Und es ist wichtig, dass wir unsere Erinnerungen mit unseren Nachfahren teilen, bevor sie in Vergessenheit geraten sind.